Gipfel im Atlantik. Unsere HANSEATIC inspiration vor den Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen
11.000 Kilometer hat das Expeditionsschiff auf seiner Reise von Teneriffa nach Ushuaia zurück zu legen. Transatlantik pur, denn es wird keinen Stopp geben. Wirklich keinen Stopp? Experte Christian Rommel berichtet von einer besonderen Begegnung.
Transatlantik – was für eine wunderbare Vorstellung, die unermesslichen Weiten des Ozeans und der unerreichbare Horizont. 20 Tage dauert diese Reise mit der HANSEATIC inspiration von der tropischen Kanareninsel Teneriffa nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Ich bin als Lektor an Bord, um die Gäste täglich mit einem landeskundlichen oder kulturgeschichtlichen Vortrag zu unterhalten. Frei von geografischen und thematischen Zielvorgaben, kann ich meine Liebe fürs abenteuerliche Reisen mit einer kleinen Schar von wissbegierigen Menschen teilen. Welch ein Privileg!
Doch diese Tour ist mehr als eine Seereise, es ist fast eine Weltreise. Denn es liegen rund 11.000 Kilometer vor und 4.000 Meter Wassertiefe unter uns. Stopps unterwegs? Keine. Es gilt einzig die Devise: Meer pur! Eine Reise zum Runterfahren und Entschleunigen. Fast täglich stehe ich regungslos an der Reling und starre schweigend auf das Tiefblau des Wassers, die beruhigenden wogenden Wellen und die tanzenden weißen Schaumkronen. Ich spüre den angenehm warmen Wind auf meiner Haut und schmecke das Salz. Welch ein Genuss! Das Meer ist nie gleich, nie eintönig, nie langweilig.
Plötzlich heißt es: „Land in Sicht!“ Kann das sein?
Doch nach gut fünf Tagen auf See, heißt es plötzlich „Land in Sicht!“ Kann das sein? Wir sind auf halber Strecke zwischen der afrikanischen Westküste und Brasilien, kurz vor dem Äquator. Hier gibt es kein Land. Dachte ich immer. Doch vor uns taucht wie aus dem Nichts etwas Undefinierbares aus dem Wasser auf. Eine Fata Morgana? Nein, es ist tatsächlich Land. Ein genauer Blick auf die Seekarte löst das Geheimnis: Wir steuern auf den Arquipélago de São Pedro e São Paulo zu. Die winzige Inselgruppe gehört zu Brasilien. Kapitän Roman Obrist und seine Brückenmannschaft haben die Genehmigung erhalten, die Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen mit den Zodiacs zu erkunden.
Aufregung macht sich breit: umziehen, Kameras bereit halten, auf die Durchsagen von der Brücke achten, die Vorbereitungen für das Ausbooten laufen. Entdeckt wurde dieses abgelegene Fleckchen Erde mit seinen 15 steinernen Erhebungen von der portugiesischen Caravelle „São Pedro“ vor 500 Jahren am 20. April 1511. Sofort wurde es für die portugiesische Krone als neues Besitztum reklamiert und fand seinen festen Platz auf den Seekarten der Welt.
Bei bester Entdeckerlaune besteige ich zusammen mit den Gästen die Zodiacs. Der Himmel beschert uns ein grandioses Kaiserblau, wir nähern uns dem etwa 100 Kilometer nördlich des Äquators gelegenen Archipel. Die Hauptinsel heißt Belmonte, die anderen Challenger, Nordeste, Cabral und Sul. Dazu kommen kleinere Felsen wie Rocha Beagle, Rocha Pillar, Rocha Cambridge und weitere. Belmonte hat eine Fläche von 5.380 Quadratmetern – das ist weniger als ein Fußballplatz. Unsere Boote steuern entlang malerischer, wilder Klippen in eine hufeisenförmige Bucht.
Ein pittoreskes rot-weißes Leuchtfeuer, im Jahre 1932 eingeweiht, thront auf dem mit 18 Metern höchsten Felsen, daneben prangt eine imposante Satellitenschüssel und die brasilianische Flagge. Unterhalb davon duckt sich eine weiß-gestrichene Holzhütte in die zerklüfteten Felsen. Plötzlich kommt Bewegung auf. Fünf Personen treten aus dem Schatten der Überdachung hervor, winken und rufen. Sie freuen sich über die unerwartete Unterbrechung. Leider dürfen wir wegen der Corona-Vorschriften nicht anlanden. Wie gern hätten wir uns zum elitären Club der Peter-und-Paul-Felsen-Betreter gezählt. Und wie gerne hätten wir diesen Ozean-Eremiten einige Gastgeschenke unserer Bordküche überreicht.
Kein Vulkan, sondern die Gipfel eines Unterwasser-Gebirges
Was machen die vier Männer und die eine Frau während ihres mehrwöchigen Aufenthalts in the middle of nowhere? Forschungsberichten zufolge werden hier diverse Messungen durchgeführt. Genaueres ist in einem Beitrag von Hajo Lauenstein zu lesen, der die Insel während einer Atlantik-Überquerung mit der BREMEN besuchte. Der Geologe schreibt zudem, dass die Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen nicht aus vulkanischem Gestein bestehen, sondern quasi aus dem Erdmantel hochgedrückt wurden. Wir befinden uns also an einem der ganz wenigen Orte der Welt, wo die unterseeischen Gebirgszüge des mittelozeanischen Rückens die Wasserlinie durchbrechen. Dieser Archipel ist der Gipfel einer 4.000 Meter hohen Untermeereserhebung – eine absolute Seltenheit.
Die extrem isolierten Felsen gleichen einer Oase in der endlosen Wasserwüste. Obwohl ohne jegliche Vegetation, erweisen sie sich für die Unterwasser-Flora und -Fauna als ebenso wertvoll, wie sie sich als idealer Lande- und Nistplatz eignen. Auf den Felsen brüten hunderte von Seevögeln, wir sehen Weißbauchtölpel und Kleine Noddiseeschwalben. Außerdem leben dort Rote Klippenkrabben. Lauenstein schreibt, dass hier kalte, planktonreiche Meeresströmungen aus der Tiefe an die Oberfläche kommen und den Seevögeln ein reiches Mal bescheren.
Im Jahr 1998 hat die brasilianische Marine diese Forschungseinrichtung etabliert, auch um die territorialen Ansprüche der Zweihundert-Meilen-Zone zu manifestieren. Damit sind die Felsen nicht nur von politischer und strategischer, sondern auch von ökonomischer Bedeutung. Denn der Wert dieses riesigen Gebietes als Fischgrund ist erheblich. 2006 hat ein Seebeben große Teile der Infrastruktur zerstört, inzwischen sind stabilere Gebäude errichtet worden. Zurück an Bord genießen wir den Komfort und die Annehmlichkeiten unsere Schiffes und blicken noch einmal zurück auf die winzige Landmasse. Medusenhaft und sanft lösen sich die Konturen der Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen in der Unendlichkeit des ewigen Ozeans auf.
Christian Rommel, Jahrgang 1965, stammt aus Bielefeld. Er studierte Verpackungsdesign in Stuttgart, Tokyo und Xian (West-China), in Hong Kong gründete er eine Unternehmensberatung. Inzwischen ist er Mitglied der Royal Geographic Society, hält regelmäßig Vorträge über den Klimawandel, schreibt Reisereportagen und hat diverse Sach- und Fachbücher publiziert. Seit ein paar Jahren dreht er mit seinem Team Dokumentarfilme und baut eine private ethnografische Sammlung für ein Erlebnismuseum auf. Mehr über Christian Rommel auf seiner Website.
Text und Fotos: Christian Rommel