Als Autistin in der Arktis – meine Reise mit der HANSEATIC nature
Dr. med. Christine Preißmann liebt Eis in allen Variationen: als Gletscher, Packeis oder Eisberg. Doch als Autistin fragte sie sich, ob eine Expedition mit der HANSEATIC nature in die Arktis für sie das Richtige sein würde? Dann hat sie doch gebucht. Ein persönlicher Erlebnisbericht über ein Wagnis – und die Wunder einer Reise in den hohen Norden.
Klare, kalte Luft, die Reizarmut des hohen Nordens, interessante Besichtigungen, fantastische Naturerlebnisse und Eis in allen Formen: Das verspricht die „Expedition kanadische Arktis und Nordgrönland“ mit der HANSEATIC nature. Ich habe mich lange mit dieser Reise beschäftigt und schließlich viele Monate im Voraus gebucht. Doch werden meine Erwartungen erfüllt?
Meine Kabine lässt keine Wünsche offen
Nach einer gut organisierten Anreise besteige ich das schöne Schiff. Den Begrüßungsdrink lasse ich zunächst stehen und richte mich gleich in meiner geräumigen Kabine ein. Da ich sehr empfindlich reagiere auf grelles Licht, bin ich für die ausschließlich indirekte Beleuchtung sehr dankbar.
Gespräche mit Experten – immer möglich
Der erste Seetag ist den Vorbereitungen gewidmet. Jeder Gast erhält Gummistiefel und eine warme Jacke für die Dauer der Reise. Wir lernen, wie wir in die Zodiacs einsteigen. Und wir bekommen schon erste Informationen über das Reisegebiet. Die Anlandungen werden von den kompetenten Expertinnen und Experten stets ausführlich vor- und nachbereitet. Mir gefällt, dass diese Mitarbeiter auch außerhalb ihrer Vorträge häufig in den öffentlichen Bereichen anzutreffen sind. So ergeben sich immer Möglichkeiten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Flexible Tischzeiten und Rückzugsmöglichkeiten
Wichtig bei der Wahl des Schiffes war für mich, dass ich die Mahlzeiten flexibel einnehmen kann. Feste Tischordnungen oder ein großer Tisch mit vielen Gästen wären zu anstrengend für mich. So nutze ich die Gelegenheit, gezielt kleine Tische auszuwählen. Oder etwas außerhalb der meist frequentierten Zeiten zu essen. Manchmal bestelle ich mir auch eine Kleinigkeit über den Zimmerservice, wenn mir gerade nicht so nach Gesellschaft ist. Solche Wahlmöglichkeiten erleichtern mir die Reise sehr.
Eisberge und Eisbären
Das Reisegebiet habe ich perfekt gewählt. Ich liebe die Arktis sehr, ich mag die Kälte – und bin überrascht, dass es sooo kalt gar nicht ist. Auf der Tour sehe ich viele spannende Orte, vor allem aber Eis in allen Variationen: Gletscher, Treibeis, Packeis, große und kleinere Eisberge, von jeder Seite besonders, mit jedem Tageslicht sich verändernd. Ich bin mir sicher, dass wir Gäste manchmal alle dasselbe fotografiert haben, und doch bringen wir ganz verschiedene Bilder mit.
Die Natur zeigt sich nicht minder vielfältig. Einmal können wir wegen der Eislage nicht so weit nordwärts fahren wie geplant. Dafür werden wir an einem anderen Tag mehr als entschädigt – mit fünf Eisbär-Sichtungen.
Ich fühle mich an Bord willkommen
Lange habe ich gezögert, eine solche Reise zu buchen, denn ich habe eine autistische Behinderung. Ich hatte Sorge, nicht an Bord zu passen. Dann aber merkte ich, dass ich sein kann, wie ich bin. Die Crew gibt allen Gästen jederzeit das Gefühl, willkommen zu sein. Auch mir mit meinen Einschränkungen und Auffälligkeiten. Die Mitarbeiter wirken so erfrischend „normal“ – ich erlebe sie als ganz außergewöhnlich freundlich, kompetent, professionell und engagiert. Und gleichzeitig als sehr authentisch.
Die Crew: außergewöhnlich engagiert
Man merkt dem Expeditionsteam an, dass es liebt, was es tut, und sich freut, den Gästen schöne Erlebnisse zu bereiten. Ich habe schon viele Reisen unternommen, allein und meist selbst organisiert. Aber noch nie ein solch außergewöhnliches Engagement erlebt, deshalb ist es mir ein Bedürfnis, dies in diesem Beitrag mitzuteilen.
Die Guest Relation Managerin Corinna Zapp gibt mir gleich zu Beginn zu verstehen, ich möge mich melden, wenn ich etwas brauche, dann werde man versuchen, das zu ermöglichen. Über diese netten Worte und dieses Angebot freue ich mich sehr. Das mag wie eine Selbstverständlichkeit wirken. Doch für mich ist es sehr wichtig, das Gefühl zu haben, dass es von Herzen kommt.
Ich darf einfach sein, wie ich bin
Anfangs bin ich damit beschäftigt, mich an die Abläufe an Bord zu gewöhnen und die Serviceleistungen an meine Bedürfnisse anzupassen. Für mich als Autistin ist der Kontakt zu anderen Menschen anstrengend, deshalb ziehe ich mich immer wieder in meine Kabine zurück. Die Stewardess stellt sich schnell auf mich ein und hinterfragt auch nicht weiter, als ich sie bitte, den abendlichen Turndown-Service auszulassen. Ich mag es, wenn der Vorhang offen bleibt, ich freue mich über meine schöne Balkonkabine und schaue gern hinaus. Auch die Servicekräfte im Restaurant scheinen es mir nicht übel zu nehmen, dass ich oft nicht sehr gesprächig bin, während sie mich freundlich bedienen. Ich genieße es, dass man mich sein lässt, wie ich bin.
So finde ich mich allmählich zurecht und kann mich tatsächlich an allem sehr erfreuen. Die Anlandungen an spannenden geschichtlichen Orten und wunderschönen Naturzielen, die Zodiac-Touren zwischen den Eisbergen, die fantastischen Vorträge und die umfangreichen Serviceleistungen.
Ich merke, wie ich mutiger werde
Es tut mir gut, mit ein paar anderen ruhigen Mitreisenden und manchen Mitarbeitern kurz ins Gespräch zu kommen. Ich merke, wie ich mutiger werde und mich ab und zu sogar traue, selbst auf andere zuzugehen und eine Frage zu stellen, was für mich eine große Kraftanstrengung bedeutet – und was ich oft nur dann tun kann, wenn ich mich wirklich wohlfühle. Als sich irgendwann eine Mitreisende zu mir setzt und sagt, sie habe so das Gefühl, in netter Gesellschaft zu sein, freut mich das.
Erfolgserlebnis auf der Tanzfläche
Ganz unerwartet helfen mir auch kleine Zufälle. So muss kurz vor Beginn des Abends, an dem die Crew-Band spielt, in meiner Kabine eine Kleinigkeit gerichtet werden. Eigentlich wollte ich an diesem Event nicht teilnehmen, es fällt mir nicht leicht, solche Aktivitäten zu genießen. So aber finde ich mich im HanseAtrium besser aufgehoben. Und ich bereue es nicht. Die Band spielt toll, und ich habe eines meiner größten Erfolgserlebnisse während der Reise: Ich verbringe eine komplette Stunde auf der Tanzfläche. Das habe ich seit dem Ende meiner Schulzeit nicht mehr getan und noch nie in meinem Leben freiwillig und mit Spaß. Für diese für mich sehr wertvolle Erfahrung bin ich sehr dankbar und denke in der Nacht lange darüber nach.
Kleine Dinge, große Wirkung
Mit ganz kleinen Dingen kann man eine ganze Menge für mich bewirken. Es hilft mir sehr, täglich ein paar Sätze mit Corinna Zapp zu wechseln, die immer wieder fragt, ob es mir an Bord gut gehe. Durch ihre offene, auf mich zugehende, authentische und fröhliche Art unterstützt sie mich viel mehr, als ihr bewusst ist. Sie gibt mir das Gefühl, in Ordnung und willkommen zu sein.
Es ist nicht wichtig, was andere denken
Neben den faszinierenden Naturerfahrungen ist der Südpol-Erfahrungsbericht von Kerstin Schley für mich das Highlight der Reise. Ihre Botschaft: Es ist nicht wichtig, was andere Menschen denken. Letztlich sind wir unserem Gewissen verpflichtet und sollten, wenn wir niemanden dadurch stören oder gefährden, auch durch ungewöhnliche Methoden versuchen, unsere Ziele zu erreichen. Durch viel Arbeit und Training können wir auch solche Erfolge feiern, die wir nie für möglich gehalten hätten.
Das ist auch das Credo meines Lebens. Ich habe inzwischen das große Glück, als Ärztin und Psychotherapeutin tätig zu sein und gleichzeitig durch Bücher, Referate und Seminare über das Leben mit Autismus zu berichten. Deshalb berührt mich dieser Vortrag sehr.
Die nächste Reise? Ist gebucht – auf der HANSEATIC spirit
Nun bin ich seit einigen Wochen wieder zu Hause, und ich denke noch immer sehr gern an diese schöne Reise zurück. Es war toll, weil die Mitarbeiter toll waren. Ich werde noch lange von den Erlebnissen zehren und habe für kommendes Jahr eine Reise nach Spitzbergen gebucht – auf der HANSEATIC spirit. Es ist ein großes Privileg, solch schöne Dinge erleben zu dürfen. Dafür bin ich unendlich dankbar. Als Autistin auf der HANSEATIC nature in die Arktis – das kann nicht nur funktionieren, sondern es war fantastisch schön.
Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie und Autorin mit dem Schwerpunkt Autismus. Nach ihrem Medizinstudium und der Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin qualifizierte sie sich zur ärztlichen Psychotherapeutin. Mit 27 Jahren wurde bei ihr das Asperger-Syndrom diagnostiziert. 2005 begann sie Vorträge über Autismus zu halten und veröffentlichte Bücher zu dem Thema. Seit 2021 hat sie eine eigene psychotherapeutische Praxis, in der sie schwerpunktmäßig mit autistischen Erwachsenen arbeitet.
Fotos: Christine Preißmann, Michèle Imahorn