Ein besseres Bild der Erde: Fotoschule mit Lutz Jäkel – blaue Stunde
Wir alle fotografieren auf Reisen. Doch was unterscheidet die Arbeit eines Profis von unserer? Lutz Jäkel ist spezialisiert auf Food- und Reise-Fotografie und eine anerkannte Größe in der Branche. Im PASSAGEN BLOG zeigt er, was aus seiner Sicht ein gutes Bild ist, und wie er es gemacht hat: das mystische Licht der blauen Stunde
Der Winter steht vor der Tür. In der Antarktis dagegen beginnt der Sommer. BREMEN und HANSEATIC kreuzen jetzt in den Eiswelten. Bevor wir uns wieder mit diesen Gebieten beschäftigen wollen, machen wir noch einen kleinen Exkurs. Am 9. November 2014 wurde in Berlin mit vielen Gedenkveranstaltungen an den Mauerfall vor 25 Jahren gedacht – unter anderem mit der Kunstinstallation „Lichtgrenze“. Was das mit Fotografie zu tun hat? Es boten sich einmalige Fotomotive, die in dieser Art wahrscheinlich nicht wiederkehren werden. Und: Die schönsten Motive konnte man zur sogenannten Blauen Stunde und nachts machen. Dazu heute ein paar Tipps von mir.
Als „Blaue Stunde“ bezeichnet man die Zeit der Dämmerung vor bzw. nach der nächtlichen Dunkelheit. Es gibt also eigentlich zwei Blaue Stunden. Und sie dauern nicht wirklich 60 Minuten. Je nördlicher oder südlicher des Äquators man fotografiert, desto länger ist die Blaue Stunde, in Deutschland ca. 30-45 Minuten, je nach Ort und Jahreszeit (inzwischen gibt es Apps, mit denen man sich genau die Zeiten anzeigen lassen kann). Wer sich im Winter in die Arktis oder Antarktis aufmacht, kann in Ruhe sein Abendessen genießen und muss nicht dauernd auf die Uhr schauen: Hier dauert die Blaue Stunden gleich mehrere Stunden. Traumhaft!
Das Besondere an der Blauen Stunde ist, dass das Licht des tiefblauen Himmels in etwa die gleiche Helligkeit aufweist wie das künstliche Licht an Gebäuden oder der Straßenbeleuchtungen. Dadurch werden die Kontraste abgemildert, die Übergänge weicher, Farben in ihrer Wirkung verstärkt, was sich durch eine längere Belichtungszeit noch steigern lässt. Eine längere und lange Belichtungszeit ist ohnehin in den meisten Fällen erforderlich. Zwar kann man an heutigen Digitalkameras die Empfindlichkeit, also die ISO, stark nach oben einstellen (bis zu 12.800 ISO oder mehr), um kurze Belichtungszeiten zu bekommen. Doch dann steigt in den meisten Fällen das sogenannte Bildrauschen stark an, das Foto zeigt Artefakte, wird körnig und verliert an Brillanz. Für beste Bildqualität sollte man also eine niedrige Empfindlichkeit einstellen (100 oder 200 ISO) und schließt die Blende für eine schöne Schärfentiefe (z.B. Blende 8 oder 11). So erreicht man schnell Belichtungszeiten von 10 Sekunden und mehr. Ohne festes Stativ und Fernauslöser geht nichts, aber der Einsatz lohnt sich. Besonders eindrucksvoll wirkt die lange Belichtungszeit in Wassernähe (wie auf den Fotos an der Spree), weil es das Wasser dann ganz weich erscheinen lässt.
Der Vorteil der Blauen Stunde ist auch dieser: Konturen werden schön gezeichnet, die Umgebung oder der Hintergrund des Motivs „suppen“ nicht ab, wie es bei Nachtaufnahmen der Fall ist, wo fast alles tiefschwarz wirkt. Die schönste „Stunde“ mit dem tiefsten Blau ergibt sich somit an klaren Tagen; bei Bewölkung ist das Blau eher grau. Aber im Vorteil ist, wer in einer Großstadt lebt, denn dort ist der Himmel durch das viele Licht nie ganz dunkel. Und wenn dann noch, wie hier im Falle Berlins, gefeiert wird und viele Strahler erleuchten, ergeben sich ganz besondere Lichtspiele, weil das Licht an den Wolken reflektiert, wie man es auf den Fotos der Lichterkette am Reichstag sehr schön sehen kann.
Mal abgesehen davon, dass das Schleppen eines Stativs anstrengend sein kann (ich habe allerdings immer eines dabei!), haben lange Belichtungszeiten einen Nachteil: Alles Bewegte – also vor allem Menschen – wird unscharf. Das kann aber auch einen Reiz haben, denn dadurch bringt man Bewegung zum Ausdruck oder – wie auf diesen Fotos – verleiht der Menschenansammlung noch größerem Ausdruck. Ein Tipp: Beobachten Sie in solchen Situationen die Situation genau. Wenn sich viele Menschen bewegen, aber nur einer länger stehen bleibt (mind. so lange wie die Belichtungszeit), hat das einen schönen Effekt: Der Blick wird automatisch auf diese Person gelenkt, sie wirkt wie ein Ruhepol.
Lutz Jäkel ist Foto- und Videojournalist, Buchautor, Islamwissenschaftler und Historiker, er hat in Hamburg, Damaskus (Syrien) und Sanaa (Jemen) studiert. Als Kind aufgewachsen in Istanbul, bereist und fotografiert er seit vielen Jahren die Welt und schreibt darüber, seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Seine Fotos und Reportagen erscheinen in Büchern und verschiedenen Medien, u.a. in Stern, Spiegel, Spiegel-Online, Abenteuer und Reisen, Merian, Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Mehr: www.lutz-jaekel.com