Lieblingsplätze. Das große Interview. Karl J. Pojer
Lieblingsplätze. Das große Interview. Wir laden Entscheider ein auf ein intensives Gespräch: Es geht um das Leben als Reise und um die Arbeit als Leben, um Verantwortung und Wettbewerb, Widersprüche und Zahlen. Den Ort für das Gespräch bestimmt der Gast. Den Anfang macht: Karl J. Pojer, Vorsitzender der Geschäftsführung von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. Er ist der Mann der Stunde. Mit dem durch ihn initiierten Kauf der EUROPA 2 wurde ein Signal gesetzt.
Sein Lieblingsplatz: das „Clouds“ in Hamburg
Die tanzenden Türme bilden das neue Wahrzeichen der Reeperbahn. Die beiden 85 und 75 Meter hohen Hochhäuser sind ein Entwurf des Architekten Hadi Teherani und fallen auf durch ihren Knick. In der 24. Etage des höchsten der beiden Türme verschwindet das Lokal „Clouds“ hin und wieder in den tief hängenden Wolken. Doch meist ist der Blick von hier oben großartig – geht weit über den Hafen, folgt der Elbe, die sich in der Ferne verliert. Und selbst an einem grauen Tag präsentiert sich dieses Bild mit einer Grandezza, dass man all die verstehen kann, die Hamburg eine „Perle“ nennen.
Lieblingsplätze. Das große Interview. Karl J. Pojer hat sich diesen Ort ausgesucht. Kurz vor dem vereinbarten Termin ruft er an und kündet eine Verspätung an. Es sind nur wenige Minuten, aber Pojer, der Unzuverlässigkeit hasst, der Akkuratesse und Pünktlichkeit schätzt, entschuldigt sich mehrfach. Erst später werden wir erfahren, dass die Verhandlungen um den Rückkauf der EUROPA 2 ihn aufgehalten haben. Über Monate zogen sich die Gespräche hin. Für Pojer war es immer ein Bedürfnis, das Schiff „heimzuholen“. Doch, ob es gelingen würde, war lange nicht absehbar. Jetzt steht er im blau-glänzenden Anzug, mit kobaltblauer Krawatte und zum Hemd passenden Einstecktuch vor den bodentiefen Fenstern zum Hafen. Zufrieden. „Was ein Blick“, murmelt er, holt tief Luft, klatscht zwei, drei mal in die Hände, reibt sie aneinander und sagt: „Fangen wir an.“
Die heute beginnende Gesprächsreihe heißt “Lieblingsplätze”. Und somit ist die erste Frage vorgegeben: Warum sind wir hier?
Karl J. Pojer: Diese Location hat eine unglaubliche Inspiration. Es ist nicht nur die Nähe zum Wasser, die mir aufgrund unseres Geschäfts sympathisch ist. Das “Clouds” ist ein Ort, in dem Raum eine große Rolle spielt. Ich habe lange in der Hotellerie gearbeitet, viele Diskussionen geführt mit Architekten, und ich finde, dass die Symbiose hier passt, die Inszenierung des Raumes, der Blick, die wirklich sehr gute und kreative Küche. Und dazu die Freundlichkeit der Mitarbeiter – das gibt mir Kraft. Hier kann ich genießen.
Sie sind seit Mai 2013 Neu-Hamburger. Wie eignen Sie sich eine Stadt an?
Ich habe in acht verschiedenen Ländern gelebt und dabei ein Leitmotiv für mich erarbeitet: Es wartet niemand auf dich. Man muss sich einbringen, auf die Menschen zugehen. Und da hilft es im fremdsprachigen Ausland schon, sich ein paar Sätze einzuprägen, damit zeigt man, dass man sich für das Land und seine Menschen interessiert.
Für Manager und Führungskräfte ist es nicht immer einfach, Anschluss zu finden. Manche arbeiten nur, sitzen unter der Woche abends allein im Hotelzimmer und fahren am Wochenende zur Familie. Sind Sie ein Loner?
Stimmt, es ist nicht leicht, wenn man pendelt. Ich wohne noch in Hannover. Aber ich suche auch die Nähe zu den Menschen. Ich werde zwar hin und wieder so seltsam skeptisch gefragt: “Ach, Sie sind Österreicher?” Darauf antworte ich dann immer gern: “Jeder hat einen Fehler.” Und dann heißt es meist beschwichtigend von der Gegenseite: “Nein, das war doch nicht so gemeint.” Aber grundsätzlich wird man als Österreicher leicht integriert.
Sie waren für viele Einzelhotels und Hotelketten in aller Welt tätig. Was wollten Sie werden als Sie ein Junge waren?
Als Bub in der 1. Klasse wollte ich Fahrdienstleiter oder Lokführer werden. Als ich erkannte, dass alle anderen dasselbe werden wollten, war mir klar, das ist nicht gut. Und so wollte ich Rennfahrer werden und Hotel-Direktor, was wohl daher seinen Grund hat, dass ich mit meinen Eltern oft in gute Hotels gereist bin. Und Hotel-Direktoren haben mich beeindruckt. Jetzt sitze ich hier und kann sagen: Ich bin beides – Rennfahrer und Hotelier.
Was hat am Ende den Ausschlag gegeben, dass Sie kein zweiter Niki Lauda wurden?
Der Motorsport ist teuer. Als ich schnell war, fehlte mir das Geld. Du brauchst immer jemanden, der dich unterstützt. Ich wusste, ich kann schnell sein, aber mir war nicht klar, ob es reicht. Und so habe ich elf mal aufgehört und 12 mal wieder angefangen mit dem Motorsport. Inzwischen bin ich Mini-Challenge, Ferrari Challenge, F3 und Touring Wagen gefahren und will noch nicht aufhören.
Profitiert der Manager Karl J. Pojer vom gleichnamigen Rennfahrer?
Ich habe einen angeborenen Kämpferinstinkt, ich pushe mich gern, suche den Wettbewerb und wollte der jüngste Generaldirektor eines Hotels werden. Die Zielstrebigkeit, die man für einen Wettbewerb braucht, die hilft auch bei Unternehmensentscheidungen. Es ist wie eine Kurve fahren, anvisieren, einlenken, am Gas bleiben, nachjustieren, rausbeschleunigen. (Er nimmt das Aufzeichnungsgerät und fährt damit die Kurve auf dem Tisch, sie wird als schabendes Geräusch verewigt.) Vor allem aber: Sport erdet. Man gewinnt, fängt beim nächsten Wettbewerb wieder bei Null an. Und wer verliert schon gerne? Man trifft andere Leidenschaftliche und spricht das ganze Wochenende nicht von seiner Arbeit. Ja, Rennsport ist eine Form von Stress, aber es ist auch absolute Entspannung. Viele, die Verantwortung tragen, tun sich schwer, die richtige work-life-balance zu finden. Mir hilft der Sport dabei.
Haben Sie es geschafft?
Was?
Der jüngste Hoteldirektor zu werden?
Ja.
Sport als Entspannung. Machen Sie auch Urlaub?
Grundsätzlich schon. Aber es muss ein aktiver, erlebnisreicher Urlaub sein. Ich bin kein Typ, der stundenlang am Strand liegen kann.
Wir haben jetzt viel erfahren über den Mann, der den Wettbewerb sucht. Woher aber stammt eigentlich Ihre Bereitschaft, Verantwortung zu tragen?
Das habe ich sehr früh in meinem Leben gelernt. Zum einen hatte ich ein sehr strenges Elternhaus, ich habe von Kindesbeinen an auch Verantwortung übernehmen müssen. So habe ich mich um meine zehn Jahre jüngere Schwester gekümmert. Das hat mich stark geprägt. Und dieses Bewusstsein, das bleibt, völlig unabhängig davon, ob man nur für einen oder einige tausend Menschen Verantwortung hat.
In Ihrem Berufsleben haben Sie immer wieder Situationen durchlebt, in denen auch viele Hoffnungen auf Ihnen ruhten. Wie wichtig ist das Vertrauen in die eigene Kompetenz?
Als ich zum Beispiel zu Robinson kam, sollte ich ein Club-Produkt modernisieren. Das funktioniert aber nicht, indem man den Mitarbeitern einfach nur sagt, wir starten jetzt neu. Sie müssen überzeugen und das vorleben. Nur was man verinnerlicht hat, kann man auch veräußerlichen. Ich musste für Robinson eine Symbiose finden zwischen Rationalität und Emotionalität. Und die mussten wir gemeinsam mit Leben füllen. Auch Hapag-Lloyd Kreuzfahrten hatte anfangs nicht diese Aufbruchstimmung, sondern stand unter Druck. Wenn du auf der Erfolgswelle schwimmst, ist es leicht Kurskorrekturen zu machen. Wenn man unter Druck steht, ist das schwieriger, denn es bleibt keine Zeit für Experimente. Man muss die Mitarbeiter dafür gewinnen, gemeinsam Ziele zu erreichen. Am Ende sagen die Zahlen, ob die Strategie die richtige war. Aber noch schlimmer als eine falsche Strategie ist es, keine zu haben.
Können Sie mit Kritik umgehen?
Freunde sagen immer, “du verzeihst uns alles, dir selber nichts”. War eine Entscheidung gut, hinterfrage ich sie nicht. Wenn ich merke, ich habe einen Fehler gemacht, dann versuche ich das herauszuarbeiten. Ich verliere nicht gern. Es macht einfach keinen Spaß. Aber die Erfahrung ist wichtig.
Die Kreuzfahrtbranche boomt. Können Sie aber erklären, warum sich dennoch einzelne Anbieter so schwer tun?
Als ich 14, 15 Jahre alt war, habe ich eine Dokumentation gesehen über ein Kreuzfahrtschiff. Es war eine spannende Welt, aber es war eine elitäre Welt. Inzwischen ist es ein Massenmarkt, Kreuzfahrt ist sexy geworden. Doch es kommen immer mehr, immer neuere Schiffe auf den Markt. Und als Anbieter muss man sich fragen: Wer sind meine Kunden? Was muss ich dafür anbieten? Ein Hotel kann man leicht umbauen, es anpassen. Bei einem Schiff geht das nicht so einfach, es ist zudem immer in Bewegung.
Wie wird die Entwicklung weiter gehen?
Deutschland wird die zweitgrößte Kreuzfahrtnation der Welt. Und die großen Schiffe werden immer mehr zur Destination mit Shopping-Malls, Eislaufbahnen, Riesenrutschen, etc. Mit Hapag-Lloyd Kreuzfahrten setzen wir auf Individualität, auf höchste Qualität und auf unser Routing. Unsere Schiffen haben den Vorteil, dass sie kleinere Häfen anlaufen können. Denn ich frage mich, was passiert in den Häfen? Kürzlich lagen in Madeira sechs große Schiffe. Dann sind auf der Insel plötzlich so viele Menschen, da ist richtig “Land unter”. Mit den Expeditionsschiffen bieten wir außergewöhnliche Reisen an, die an einzigartige Orte führen. Das ist unsere Stärke.
Im Grunde bietet Hapag-Lloyd Kreuzfahrten vier Reiseformen an: Expeditions-Reisen, Privatjet-Reisen, klassische und moderne Luxus-Kreuzfahrten. Passt das zusammen?
Quasi die gemeinsame DNA unserer Angebote ist die höchste Qualität. Im Englischen gibt es dafür einen schönen Begriff, man spricht von den “Signs of Perfection”. Diese soll der Gast bei all unseren Angeboten spüren. Das ist die Handschrift von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. Dafür treten wir ein.
Mit der Indienststellung des neues Luxusschiffes EUROPA 2 haben Hapag-Lloyd Kreuzfahrten erstmalig zwei gleichnamige Schiffe mit unterschiedlichen Konzepten in der Flotte. Wie erklärt man das?
Die Unterschiede klar zu erklären, das ist eine challenge. Wir haben mit der EUROPA 2 ein legeres und modernes Luxusschiff auf den Markt gebracht, neue Maßstäbe gesetzt und erheblich dazu beigetragen, die Kreuzschifffahrt in diesem Segment zu entstauben. Nicht zuletzt, weil sich der Luxusbegriff wandelt – vom Haben zum Sein.
Welche Zwischenbilanz ziehen Sie demnach für das Luxussegment der Flotte?
Mit den beiden EUROPAs haben wir weltweit die besten Luxusschiffe, die höchste Reputation genießen. Die EUROPA 2 ist nun am Markt angekommen und erfreut sich einer großen Fangemeinde – und zwar auch bei den Gästen, für die bisher eine Kreuzfahrt als Urlaub nicht in Frage kam.
Inzwischen haben Sie den Rückkauf des Schiffes unter Dach und Fach. Das wirft für den Laien einige Fragen auf. Wieso gehörte das Schiff eigentlich nicht dem Unternehmen?
Die Entscheidung war vor meiner Zeit gefällt worden. Damals hat man das Schiff durch einen externen Investor finanzieren lassen. Von diesem Eigner wurde die EUROPA 2 im Rahmen einer Langfrist-Charter an Hapag-Lloyd Kreuzfahrten übergeben. Ich habe nach meinem Antritt als Vorsitzender der Geschäftsführung schnell erkannt, dass diese Strukturen ein großes Problem darstellen für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens. Für den Eigner hingegen war die Situation komfortabel, er hatte keinen Grund zu verkaufen. Die Ausgangslage war also herausfordernd. Ich habe mit ihm Kontakt aufgenommen, ihm unser Anliegen geschildert, offen und ehrlich argumentiert. Es waren viele Gespräche, die über einen längeren Zeitraum liefen. Sie waren geprägt von Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Und am Ende stand ein Geschäft nach guter hanseatischer Kaufmannsart, mit dem jeder zufrieden sein kann.
Das bedeutet ein großer Sieg für den Mann mit dem Kampfgeist, oder?
Ein großer Tag für unser Unternehmen! Durch den Kauf ist es uns gelungen, die EUROPA 2 nach Hause zu holen. Das ist vor allem kein Einzelwerk, sondern nur Dank des Vertrauens und der Unterstützung unserer Gesellschafter auf der einen Seite und unserer Mannschaft auf der anderen Seite möglich gewesen. Will sagen, ich hatte Mitstreiter, die an die Sache geglaubt haben und sich großartig engagiert haben.
Es heißt, der Inhaber reise gern und oft mit Hapag-Lloyd Kreuzfahrten und der EUROPA 2. Stimmt das?
Ja, er ist ein Stammgast. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass es da ein großes Verständnis für unsere Situation gab. Und eine gewisse emotionale Nähe. Für mich war es eine sehr inspirierende Zeit, ich habe die Gespräche sehr geschätzt. Zudem bin ich stolz auf das Signal, das von diesem Kauf ausgeht.
Nachdem wir über die Zukunft der Kreuzfahrt und die von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten gesprochen haben, wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Zuerstmal kann ich mir nicht vorstellen, nicht zu arbeiten. Und meine Frau kann sich das auch nicht vorstellen. Meine Einstellung: Die beste Zeit des Lebens liegt nicht hinter, sondern vor einem. Mein Traum ist es immer noch, mal einen Triathlon zu machen. Ich fahre gut Rad, kann schnell laufen, bin aber ein miserabler Schwimmer, daran trainiere ich gerade.
Zum Schluss ein Alltagstest: Welche drei Dinge würden Sie Reisenden mit geben, die zum Mars aufbrechen?
Ich sagen Ihnen mal, was ich immer in meinen Koffer dabei habe: Folie und Klebeband. Warum? Zum Abkleben der Klimaanlage. Und ein kleines, flaches Kopfkissen habe ich auch immer dabei, weil ich auf dem Bauch schlafe. Es gibt nichts schlimmeres als schlechten Schlaf. Sollte ich mein Kopfkissen mal vergessen haben und das Hotel kein anderes zur Verfügung hat, dann nehme ich das Hotelkopfkissen, schneide es auf, hol die Hälfte raus und schlafe wunderbar. Das ist mir dann auch einen Kopfkissen-Aufschlag wert. Also: Folie und Klebeband, ein Kopfkissen. Und einen kleinen Hasen, den mir meine Tochter, als sie fünf Jahre alt war geschenkt hat mit den Worten: „Er soll dich vor bösen Menschen und Tieren beschützen..“ Und zu guter Letzt noch eine positive Einstellung. Das positive Denken darf einem nie abhanden kommen.
Herr Pojer, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Dirk Lehmann, Fotos: Susanne Baade
Karl J. Pojer, 1954 in der Steiermark geboren, absolvierte nach seiner schulischen Ausbildung ein mehrjähriges Hotelfachstudium in Österreich. Die internationale Weiterbildung erfolgte in den USA. Die ersten beruflichen Stationen führten nach New York, ins InterContinental Hotel in Wien und zu den Grand Metropolitain Hotels nach Paris. Von 1980 bis 1995 bekleidete der Hotelexperte leitende Positionen als Manager, Generaldirektor und Regionaldirektor in verschiedenen Ländern, u.a. in den USA, in Deutschland, Belgien und Portugal für führende Hotelkonzerne wie Kempinski Hotels, Sheraton Hotels und Pestana Hotels, Resorts & Casinos. Erfahrungen im diplomatischen Dienst erwarb Karl J. Pojer als Konsul von Österreich auf Madeira. Im Januar 1996 kam er zur TUI und leitete bis Mai 2003 als Sprecher der Geschäftsführung die Robinson Club GmbH, eine hundertprozentige Tochter der TUI AG. Von Juni 2003 bis Dezember 2005 zeichnete Pojer als Direktor und von Januar 2006 bis Mai 2013 in der Position des Bereichsvorstands für den Bereich TUI Hotels & Resorts verantwortlich. Die Hotelbeteiligungen der World of TUI umfassen rund 250 Hotels weltweit. Im Mai 2013 übernahm Karl J. Pojer als Vorsitzender der Geschäftsführung von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, einer hundertprozentigen Tochter der TUI AG, das Management der Luxuskreuzfahrtgesellschaft.