Expedition Antarktis mit MS HANSEATIC: Weihnachten im Ewigen Eis

Weihnachten im Ewigen Eis. Grytviken ist die größte der ehemaligen Walfangstationen auf Südgeorgien. Vor rund 100 Jahren wurde hier eine kleine Holzkirche errichtet. Sie eignet sich perfekt für einen Moment weihnachtlicher Besinnlichkeit an diesem auch ein wenig düsteren Ort. Der Schifffahrtshistoriker Prof. Dr. Ingo Heidbrink spürt der Zeit nach…

Datum: 27.12.2016
Tags: #mshanseatic #weihnachten

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von Ingo Heidbrink (Text und Fotos)


Expedition Antarktis: Weihnachten im Ewigen Eis. Eigentlich liegt Südgeorgien noch nicht in der Antarktis, aber immerhin befindet sich die Inselgruppe südlich der antarktischen Konvergenz. Es ist eine nicht sichtbare Grenze, doch abrupt ändert sich hier die Wassertemperatur. Der Südliche Ozean misst sechs Grad weniger als die ihn umgebenden Meere. Die antarktische Konvergenz markiert das Reich der Wale, Pinguine und des Ewigen Eises der Gletscher auf Südgeorgien.

Die Anlandung in Grytviken, der größten und ältesten der ehemaligen Walfangsiedlungen auf Südgeorgien, ist ohne Zweifel einer der Höhepunkte einer jeden Reise in diese Region der Erde. So auch bei dieser Expedition mit der HANSEATIC. An keinem anderen Ort auf dieser immer wieder faszinierenden Insel zeigt sich so deutlich, warum gerade das weit abseits aller Schifffahrtswege gelegene Südgeorgien zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der Zentren der beginnenden Globalisierung wurde – und welch Aufwand betrieben wurde, um die Wale als Grundstoff der industriellen Produktion von Waschmitteln, Margarine, Sprengstoffen und einer Vielzahl weiterer Produkte zu nutzen.

 

Grytviken war nie ein Ort für „Moby Dick“-Romantik

 

Beim Gang durch die Gebäude und Anlagen der Walfangstation und durch das in der ehemaligen Verwaltervilla untergebrachte South Georgia Museum wird nicht nur schnell offensichtlich, dass der antarktische Walfang nahezu keine Gemeinsamkeiten mehr mit dem „Moby-Dick“-Walfang des 19. Jahrhunderts hatte, sondern dass es sich um eine hochtechnisierte und mechanisierte Industrie handelte. Und dass der heute nahezu verlassene Ort in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von hunderten Arbeitern bevölkert wurde, ohne die diese Industrie nicht hätte existieren können: Wohngebäude, Werkstätten, Lagerhäuser, eine Bäckerei, die Kantine, die Überreste eines Kinos und etwas abseits gelegen eine kleine Kirche.

Vielleicht ist es der Grund, dass die HANSEATIC gerade an Weihnachten Grytviken besucht, dass die Kirche heute ein wenig mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich erhält. Äußerlich schlicht und im Stil einer typisch norwegischen, neogotisch-lutherischen Kirche erbaut, hat das Weihnachten 1913 geweihte hölzerne Gebäude zunächst vergleichsweise wenig zu erzählen. In seiner wechselvollen Geschichte diente es unter anderem als Lagerhaus und als Zufluchtsstätte für britische Forscher während des Falklandkonfikts, bevor es in den 1990er Jahren durch die Mitarbeiter des Museums liebevoll restauriert wurde.


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Beim Betreten der kleinen Kirche wird schnell spürbar, was es für die Arbeiter der Walfangstation zumindest zeitweilig bedeutet haben mag und vielleicht gerade zur Weihnachtszeit, die ja auch in der Hochsaison des alljährlichen Walfangbetriebes lag. Wie für die Walfänger, so gilt auch für die Passagiere und die Crew der HANSEATIC, dass nicht jeder sich unmittelbar von der Botschaft einer Kirche an Weihnachten angezogen fühlt. Heute wie einst wird für manche das Weihnachtsmenü samt einem guten Getränk, das ausnahmsweise an diesem Tag auch zur Zeit des aktiven Betriebs der Walfangstation ganz offiziell alkoholisch sein durfte und nicht heimlich schwarz gebrannt werden musste, vielleicht der eigentliche Höhepunkt des Tages sein.

Und dennoch kann sich kaum jemand der Faszination des Ortes entziehen, der mit seinen schlichten Holzbänken und dem Harmonium noch immer dazu einlädt, einen Moment zur Ruhe zu kommen, die Eindrücke der bisherigen Reise zu verarbeiten und darüber nachzudenken, was es heißt das Privileg genießen zu dürfen, diesen Teil der Erde zu bereisen.

 

Skischanze und Kino waren attraktiver, die Kirche verwaiste

 

Während die ersten Gäste die verlassenen Anlagen der ehemaligen Walfangstation in Augenschein nehmen und sich Gedanken darüber machen, wie lange es gedauert haben mag, bis ein Wal verarbeitet war, denkt vielleicht in der Kirche noch der ein oder andere darüber nach, wie es hier zu Weihnachten vor rund einhundert Jahren zugegangen sein mag. Der Gottesdienst bot eine kurze Pause von der alltäglichen Routine, einen Moment an die Heimat zu denken und vor allem an Familie und Freunde auf der anderen Seite der Erde, an Weihnachtsbräuche im heimatlichen Norwegen oder wo auch immer die Walfänger zu Hause waren.

Passagiere und Crew werden bereits in wenigen Stunden wieder im Luxus an Bord der HANSEATIC sein und sich auf die weiteren Abschnitte der Reise vorbereiten können. Für die Walfänger war Weihnachten eine willkommene Abwechslung in der Mitte der Saison, ein Moment der Ruhe und des Innehaltens, aber auch des ausgelassenen Feierns inmitten einer Fangsaison, die nur wenig zu bieten hatte außer harter Arbeit. Hieran sollte es auch nichts ändern, dass bereits einige Jahre nachdem C. A. Larsen die Kirche gestiftet hatte, sie nahezu verwaiste. Kein Pfarrer war mehr vor Ort. Und die wenigen anderen Freizeitmöglichkeiten waren attraktiver: Die Überreste einer Skischanze sind noch ebenso in der Nähe der Kirche zu erkunden wie die des Kinos.


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Wie einst die Walfänger so nutzen auch heute die Passagiere und die Crew der HANSEATIC die Gelegenheit für eine kleine Auszeit, zum Klön, sich über Erlebtes auszutauschen und auf das Kommende vorauszusehen. Oder, in anderen Worten: an diesem besonderen Tag einfach Gemeinschaft von Menschen ganz verschiedener Herkunft, Weltanschauung und Religion zu erleben.

Die Pinguine und Seebären, die auch hier in Grytviken in stattlicher Zahl anzutreffen sind, spielen ausnahmsweise am heutigen Tag dieser Reise nur eine Nebenrolle. Auch wenn ihr Geraune zwischen den Ruinen allgegenwärtig ist. Sie erinnern aber direkt daran, warum es die Menschen eigentlich nach Südgeorgien zog: Nicht Entdeckerdrang, sondern die Möglichkeit zum Geld verdienen. Wal hinter Wal, bzw. Seeelefant nach Seeelefant wurden in kürzester Zeit zu Öl, Fleisch- und Knochenmehl verarbeitet. Lange Arbeitstage voller Routine und nahezu ohne jede Möglichkeit, sich eine kleine Auszeit zu nehmen. Und doch auch immer wieder gute Momente voller Kameradschaft und der Chance, die einmalige Natur dieser Region der Erde sehen und erleben zu können.

 

Heute eignet sich die Holzkirche perfekt für Momente der Besinnlichkeit

 

Der einzige Pfarrer der Kirche war nur in dem kurzen Zeitraum von 1913 bis 1914 im Amt. Seit Kristen Løken am Ende der Fangsaison 1914 nach Norwegen zurückkehrte gab und gibt es zwar noch gelegentliche Gottesdienste in der neogotischen Kirche doch keinen Pfarrer mehr. Auch wenn die Walfänger im Alltag vielleicht nicht die Frommsten gewesen sein mögen, an Weihnachten konnten sie einen Moment inne halten. Und sei es nur, um an die Familie in der Heimat, Eltern, Geschwister, Ehefrauen, Kinder, Verlobte, Freundinnen, Freunde oder auch eine heimliche Geliebte zu denken. Beim Heraustreten aus der Kirche sieht man, dass es den Passagieren und der Crew der HANSEATIC ähnlich geht – und sie mit den Gedanken bei den Menschen sind, die nicht mit an Bord sein können – vielleicht auch gerade bei einem ganz besonderen Menschen, egal wie weit er entfernt sein mag.

Doch wie bereits vor mehr als einhundert Jahren gilt vor allem, dass Weihnachten ein fröhliches Fest ist. Und darum geht es jetzt zurück an Bord der HANSEATIC, um zu feiern. Für einen Moment der Besinnlichkeit in dieser besonderen Zeit des Jahres, ist die Kirche in Grytviken so gut geeignet wie kein anderer Ort, der während dieser Reise besucht wird.


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Fotos: aktuelle Aufnahmen von Ingo Heidbrink (3) und Archivbilder aus vergangenen Jahren (4)


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