Philosophen der See: Kapitän Ulf Wolter über Verantwortung

Datum: 16.08.2015
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Philosophen der See. In diesen „Kapitänsgesprächen“ bitten wir in loser Folge die Kapitäne von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zum Interview. Dabei geht es um große Themen: Autorität, Verantwortung, Umwelt. Mit Ulf Wolter, Kapitän der EUROPA 2, reden wir über Verantwortung…

EUROPA2, Kapitän Ulf Wolter auf der Brücke. Foto: Susanne Baade.
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EUROPA2, Kapitän Ulf Wolter auf der Brücke. Foto: Susanne Baade.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.

Das Kapitänsgespräch findet in der Kabine des Kapitäns statt, auf Deck 10 hinter der Brücke der EUROPA 2. Ein wohnlicher Ort und doch ein von der Arbeit geprägter, im Hintergrund sind das Stimmengewirr der Nautiker, die Funksprüche und Kommandos allzeit hörbar. Ulf Wolter setzt sich an den Tisch und platziert drei seiner Markenzeichen vor sich: die Teetasse mit Pinguin-Motiv, die sehr dunkle Sonnenbrille und einen Miniglashaus-Kaktus. Dann kann es los gehen.

E2MAG: Herr Wolter, in unserem Gespräch geht es um Verantwortung. Sie sind ein moderner Kapitän, Sie füllen Ihre Rolle auf der EUROPA 2 anders aus als es die Traumschiff-Kapitäne im Fernsehen tun. Wird das von den Gästen manchmal auch kommentiert?

Ulf Wolter: Ich bin seit zwölf Jahren Kapitän. Ganz zu Anfangs musste ich mir durchaus mal derbe Sprüche sagen lassen, etwa: „Ach, Sie sind der Kapitän? Können Sie das denn?“ Heute höre von den Gästen hin und wieder Stimmen, die sagen: „Oh, den Kapitän eines so großen Schiffs hätte ich mir anders vorgestellt.“ Es ist aber eher eine Anmerkung. Mit der Zeit gibt sich das. Jeder Kapitän fährt sein Schiff auf seine Weise. Ich habe meinen Stil.

In unseren Klischees ist der Kapitän ein lonely ruler. Er streift über Deck, trifft seine Entscheidungen allein, kann ins Gefängnis stecken und verheiraten. Wie weit reicht Ihre Verantwortung?

Der Kapitän ist quasi der Häuptling. An Bord herrscht eine „demokratische Diktatur“, es gibt eine strenge Hierarchie. Das geht auch nicht anders bei 370 Crew-Mitgliedern, denn oft müssen Entscheidungen schnell getroffen werden, da kann man nicht erst alle um ihre Meinung fragen. Primär bin ich Seemann, mein Job ist es, das Schiff von A nach B zu fahren. Es gibt hier mehrere Departments, jeweils mit eigenen Chefs, das größte ist das Hotel. Wir tauschen uns aus, und manchmal ist es nötig, einzugreifen. Meist aber läuft der Laden. Das macht einen guten Kapitän aus, einen Instinkt zu entwickeln, wo Eingreifen notwendig ist, wo nicht. Wenn es Konflikte gibt, muss ich entscheiden. Häufig habe ich dann mit Dingen zu tun, die ich nicht gelernt habe, die nicht-nautischer Natur sind. Mein Anspruch ist es, dabei fair zu sein. Und doch gilt es, klare Entscheidungen zu treffen.

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EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.

Macht Verantwortung einsam?

Als Kapitän ist man einsam. Denn am Ende hat man alle Entscheidungen zu vertreten. Allerdings kenne ich einige Besatzungsmitglieder an Bord schon seit vielen Jahren, in solchen fast freundschaftlichen Verhältnissen kann man sich auch mal persönlich austauschen.

Hat der Kapitän auch Freizeit an Bord?

Eigentlich nicht. In dem Moment, in dem ich die Gangway hoch gehe, übernehme ich die Verantwortung und gebe sie erst ab, wenn ich das Schiff verlasse. Das merkt man auch. Selbst an Seetagen, an denen oft nicht viel zu tun ist und man sich vornimmt, auch mal ein wenig runterzufahren, ist immer etwas zu tun – Vorbereitungen der nächsten Reise, Personalentscheidungen, Termine mit den Gästen, Ansprachen halten. Ich will hier nicht so tun, als würde ich an der Last der Verantwortung leiden. Aber sie drückt schon. Und nach zweieinhalb bis drei Monaten auf dem Schiff, wird man müde. Das hört erst auf, wenn man wieder von Bord geht.

Können Sie besondere Momente an Bord genießen?

Selbstverständlich! Ich schätze die Situationen sehr, in die mich mein Beruf bringt. Und doch gibt es da erhebliche Unterschiede zu Momenten, die ich privat erlebe. Ich will mal ein Beispiel nennen: Unzählige Male bin ich als Kapitän bereits die Elbe hinab gefahren. Nach der ersten Werftzeit der EUROPA 2 war ich bei der Ausfahrt an Bord und hatte keinen Dienst. Kollege van Zwamen fuhr das Schiff. Es war sensationell! Es war eine ganz andere Fahrt als alle zuvor. Ich habe meinen Freunden an Land gewunken, das Typhon bedient, diese Momente viel intensiver genießen können als zuvor.

Wenn Sie frei haben, wie lange brauchen Sie, bis Sie zu Hause angekommen sind?

Im Grunde lebe ich zwei Leben. Hier an Bord bin ich der Kapitän, hier hören alle auf mich. Und zu Hause, da habe ich, haha, ja da habe ich doch nichts zu sagen. Und wenn ich da mal der „Kapitän“ bin, heißt es nur: „Jetzt fahr mal wieder runter.“ Ich habe ein gutes Umfeld, das tut mir gut. Diese Sozialisation dauert ungefähr eine Woche.

EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.

Sie entstammen einer Seefahrer-Familien, ihr Vater, Großvater und dessen Vater waren Kapitäne. Sie aber fahren als erster keine Fracht, sondern Menschen. Was macht den Unterschied aus?

Die Verantwortung für das Schiff, es sicher von A nach B zu fahren, ist die gleiche. Egal ob Tanker, Container- oder Kümo-Schiff. Hier haben Sie allerdings eine ganz andere „Fracht“. Und als ich auf der BREMEN zum ersten Mal damit zu tun hatte, war das für mich als eher maulfaulen Norddeutschen gar nicht leicht – plötzlich wurde man auf der Brücke angesprochen. Aber die Reisen haben mich von Anfang an fasziniert. Man kommt mit solchen Schiffen an Orte, die man sonst nie erreichen würde. Und das hat mein Ehrgeiz geweckt. Ich habe mir viel von älteren Kollegen abgeguckt, beim einen den Umgang mit den Passagieren, beim anderen die Tischmanieren. Denn ich wollte Kapitän werden. Es gibt ja Seeleute, die bleiben lieber Erster Offizier. Aber für mich war das keine Option.

Wie bemisst man als Kapitän den Erfolg einer Reise?

Man hat recht schnell ein Gefühl dafür, ob eine Reise gelungen ist oder nicht. Das ist vielfach auch vom Wetter abhängig. Die Sonne scheint, es gelingen alle vorgesehenen Programmpunkte, und abends sind die Gäste ganz beseelt von wunderbaren Erlebnissen. Dann ist alles fein. Aber es gibt auch die anderen Tage, schlechtes Wetter, zwei, drei Tage hintereinander, die Stimmung geht in den Keller. Davon darf man sich nicht zu Fehlern verleiten lassen, etwa zu riskanten Manövern, die die Laune heben sollen. Man darf sich nicht verunsichern lassen. Sicherheit und das Wohl der Gäste stehen an erster Stelle.

Wie entscheiden Sie, nach Bauchgefühl?

Ich habe eine Regel: Wenn ich selbst erste Zweifel an meiner eigenen Vorgehensweise habe, dann lasse ich es. In dem Moment etwa, in dem mich frage, ob ich einen Schlepper bräuchte für ein Manöver oder ob es auch ohne klappen könnte, dann nehme ich einen. Auch wenn das 2.500 Dollar kostet. Ich entscheide ja nicht über mein Schlauchboot… Die Verhältnismäßigkeit muss man im Blick haben.

Wie sehen Sie Ihren Beruf in der Zukunft?

Kreuzfahrten boomen. Und damit wächst auch die Verantwortung der Anbieter. Besonders die Anforderungen an den Umweltschutz werden in den nächsten Jahren steigen. Die EUROPA 2 ist ein sehr modernes Schiff. Ich bin stolz darauf, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sich für die Umwelt engagiert. Und das auch die nötige Erfahrung hat mit sensiblen Regionen. Wohl kaum ein Anbieter kennt Antarktis, Arktis und Amazonas so gut wie wir. Das sind für uns nicht bloß Zielgebiete. Wir gehen sehr respektvoll um mit diesen Orten und den Menschen, die da leben. Respekt ist die Voraussetzung aller Verantwortung.

EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
EUROPA 2, Gespräch mit Kapitän Ulf Wolter. ©Susanne Baade, E2MAG.
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Interview Dirk Lehmann, Fotos Susanne Baade